Aßmannshausen gegenüber, am linken Ufer des Rheins, thront auf hohem Felsen die Burg Rheinstein, im Jahre 1822 für den Prinzen von Preußen in mittelalterlichem Stil wieder aufgebaut und jetzt eine Zierde jener Gegend. Eine starke halbe Stunde von da, bei dem Dörfchen Drechtingshausen, erscheinen am Hang des Gebirges die Trümmer der alten Feste Rheinstein, und zwischen beiden Schlössern wird man in der mit Gesträuch und Bäumen schön umkränzten Feldflur noch die Ruine eines Gotteshauses gewahr, das ehemals die Klemenskirche hieß. Im 12.Jahrhundert herrschte auf Rheinstein ein stolzer, reicher, aber deshalb noch ziemlich geiziger Ritter, der eine einzige, sehr schöne Tochter besaß. In sie hatte sich ein Nachbar, der junge Ritter von Reichenstein, verliebt udn auch ihre Liebe zu gewinnen gewußt. Allein da es nach damaliger Sitte angemessen erschien, seine Werbung durch einen andern anbringen zu lassen und ersterer einen reichen Onkel besaß, der ebenfalls in dieser Gegend wohnte, so bat er ihn, für ihn nach Rheinstein zu reiten und den Burgherrn um die Hand seiner Tochter für seine Neffen zu bitten. Dies tat er auch wenigstens teilweise, nur daß er, nachdem er das schöne Mädchen gesehen, nicht für seinen Neffen, sondern für sich selbst um sie warb und natürlich seinen ursprünglichen Auftrag ganz verschwieg. Dem Ritter von Rheinstein war er als Schwiegersohn vollständig recht, denn er war fast ebenso begütert als er selbst. Er versprach ihm also die Hand seiner Tochter und führte ihn zu ihr, um ihr den freilich schon etwas angejahrten Ritter als den Mann, den er ihr bestimmt, vorzustellen. Sie fiel aus allen Wolken, hatte sie ihn doch hier in einer ganz anderen Stellung zu sehen erwartet. Sie versuchte zwar nach seinem Fortgang ihrem Vater den Zusammenhang der Sache zu erklären, sagte auch, daß sie dem Reichensteiner ihr Wort gegeben und keinen andern als ihn zum Gemahl nehmen werde, aber alles war umsonst. Denn ganz abgesehen davon, daß ihr Vater jenem schon sein Wort gepfändet hatte, der Reichensteiner war ihm, verglichen mit seinem Onkel, viel zu arm, als daß er seinetwegen seinen einmal gefaßten Entschluß hätte ändern sollen. Er erklärte, es bleibe dabei, was er einmal gesagt, und seine Tochter habe sich auf die baldige Vermählung vorzubereiten. Zwar teilte sie heimlich durch einen treuen Diener ihrem Geliebten mit, was geschehen und wie er von seinem Onkel hinterlistig getäuscht worden war, allein dies war auch alles, was sie ungefähr tun konnte. Ihr Geliebter versuchte nun zwar wiederholt, sie zu entführen, doch wurden seine Anschläge jedes Mal vorzeitig verraten und mißlangen gänzlich. Der Ritter von Rheinstein aber beschloß, um der Sache auf einmal ein Ende zu machen, seine Tochter sobald als möglich zu verheiraten und setzte einen Tag fest, wo sie mit dem ihr aufgezwungenen Gatten in der Klemenskirche vereinigt werden sollte. Schnell kam der Tag heran, der Brautzug zog in hellem Sonnenschein herab ins Tal, die Braut auf ihrem Lieblingspferd, neben ihr der verhaßte Bräutigam. Man näherte sich schon der St.Klemenskapelle, deren Pforte mit grünem Laub und mit Blumengewinden bekränzt war, und die Glocke des Kirchleins verkündete die Nähe der heiligen Handlung. Von den Zinnen seiner Burg konnte der Reichensteiner alles sehen, allein er mußte sich stumm in sein Schicksal fügen, denn ändern konnte er nichts. Der Zug hielt am Kirchentor, siehe, da erhob sich ein Schwarm von Bremsen aus dem nahen Busch, und eine fiel mit ihrem Stachel auf das Pferd der Braut. Hoch bäumte sich das mutige Tier, brach aus dem Zug durch die Diener Schar und warf den alten Rheinstein, der es am Zaum fassen wollte, von seinem Hengst herab. Dann rannte es mit der Jungfrau den Strom entlang. Zwar jagten ihr mehrere Reiter, ihren Bräutigam an der Spitze, nach, um das Roß wenn möglich noch aufzuhalten, aber sei es, daß es durch die Verfolgendennoch scheuer gemacht ward, sei es, daß seine Reiterin ihm selbst die Richtung angab, auf einmal jedenfalls schwenkte es in einen Hohlweg ab und jagte den Weg zum Reichenstein hinan, ihr zukünftiger Gemahl aber, der unvorsichtig nacheilte und es schon zu fangen dachte, versah doch den Weg und stürzte mit seinem Renner über einen zackigen Felsen hinab in den Abgrund. Schnell ließ nun der Reichensteiner, der alles mit angesehen hatte, die Pforte der Burg für den unvorhergesehenen Besuch öffnen, aber natürlich geich wieder schließen. Er besetzte die Mauern mit allen seinen Reisigen, um ihren Verfolgern den Mut zu nehmen nachzudringen und ihm seine Beute wieder abzunehmen, doch die Rheinsteiner dachten nicht mehr an Verfolgung, denn der, um dessen Willen sie es eigentlich hätten unternehmen müssen, lag zerschmettert im Abgrund, und ihr eigener Herr wehrte ihnen und hieß sie umkehren. Er selbst aber ritt mit wenigen Begleitern zu der Burg hinan und begehrte Einlaß, denn er hatte das Ereignis als einen Fingerzeig Gottes angesehen, der ihm befahl, von seiner Härte gegen seine Tochter abzulassen. Gerührt und seine Schuld betreuend trat er vor seine Tochter und den Reichensteiner, legte beider Hände ineinander und segnete ihren Bund. So wurden sie ein glückliches Paar, und das nächste Morgenlicht sah ihre Trauung in der Kirche des heiligen Klemens.
- Quelle: Nach Geib 1836, 386-396 (gekürzt) |
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